Revoluzzer mit Feingefühl
Feinstes Handwerk und modernstes Hightech verbindet der weltweit exportierende Tischlerbetrieb „Josef Göbel“ aus Fladnitz im Almenland. Beflügelt von einem visionären Firmenchef, der am liebsten Revolution mit Tradition verknüpft. Das aktuelle Großinvestment am steirischen Standort führt den Betrieb in eine neue Ära und freut Kunden vom Arlberg bis nach Moskau.
© Oliver Wolf

Schaulust trifft Baulust. Wer miterleben möchte, wie sich Idyll und Dynamik die Hände reichen, ist in Fladnitz an der Teichalm genau richtig. Ringsum strahlt das steirische Almenland in filterloser Insta-Optik. Hashtag: #greenparadise. Saftige Almwiesen, goldene Herbstsonne und äsende Hirsche auf einer Hügelkuppe. Eine Kulisse, die das Geschehen auf dem Betriebsgelände unmittelbar vor uns fast surreal wirken lässt. Im Minutentakt passieren Baufahrzeuge die Werkseinfahrt, Baukräne ragen hoch in den Almenhimmel und ein Meer an Hallendächern wogt als Alternativ-Landschaft vor dem Panorama der Natur. „Josef Göbel“ baut aus.

Seit jeher sorgt der Tischlereibetrieb mit seinem markanten Firmensitz inmitten des oststeirischen Almenlands ob seiner Ausdehnung für staunende Blicke bei Teichalm-Touristen. In den vergangenen Monaten umso mehr – es herrscht Großbaustelle in Fladnitz, „Josef Göbel“ verdoppelt seine Betriebsfläche um weitere 10.000 Quadratmeter. In den kommenden Wochen werden die neuen Hallen mit Maschinen der neuesten Generation der Tischlereitechnik besiedelt, auch die Anlagen in bestehenden Hallen werden großteils modernisiert. Bis Ostern nächstes Jahren soll die Erweiterung abgeschlossen sein. Der Traditionsbetrieb katapultiert sich in ein neues Zeitalter: in die Ära Handwerk 4.0. Rund 12,5 Millionen Euro werden dafür investiert. „Bei der Errichtung setzen wir ausschließlich auf heimische Betriebe. Die Verbundenheit mit der Region ist Teil unserer DNA“, erklärt Göbel bei einem Rundgang durch die Baustelle und verweist auf Flächen, auf denen gerade 10 Meter hohe Hochregale montiert werden. „Hier entsteht das Lager für unsere Hölzer. Diese Halle wird unsere Schatzkammer. 450 Pakete hochwertiges Massivholz werden künftig darin gelagert – die Grundlage für hochwertige Möbel.“

Die Exklusivität der Arbeiten von „Josef Göbel“ demonstriert das Interieur des großzügigen Besprechungsraums in der Firmenzentrale. „Die Ausstattung, das Glas, die Türen, Fenster und Lederwände – alles hier kommt von uns, bis auf den Beton“, unterstreicht der Firmenchef. „Damit wollen wir unseren Kunden vor Ort veranschaulichen, was wir alles können. Ein breites Spektrum auf höchstem Level.“ Auch der großzügige Blick vom Besprechungstisch auf Almwiesen inklusive Almos und Hirsche beeindruckt. Eine Szenerie mit Mehrwert. Denn oftmals fallen jene Kunden, die hier auf den Stühlen Platz nehmen, nicht unter die Kategorie „leicht beeindruckbar“. Betuchte Unternehmer, Geschäftsleute und Privatiers aus dem In- und Ausland schätzen die Handwerkskunst aus Fladnitz ebenso wie internationale Designer und Architekten sowie Auftraggeber aus den Bereichen Hotellerie und Museen aus allen Teilen der Welt. Unter anderen war auch der Ziehvater des russisch-israelischen Oligarchen Roman Abramowitsch, Abraham Abramowitsch, bereits mehrfach in Fladnitz zu Gast. Seit Jahren zählt die Clique des in London lebenden Superreichen zur Stammkundschaft von

Josef Göbel. Auch andere finanzkräftige Auftraggeber zählen zum Klientel des Steirers und festigen dessen Ruf als exklusiver Ausstatter anspruchsvoller Immobilien – sowohl im privaten Wohnbereich als auch im Objektgeschäft. Wichtigstes Marketingtool: Mundpropaganda. Beeindruckend ist das Firmenwachstum über die Jahrzehnte. 200 Mitarbeiter sind derzeit am Standort Fladnitz beschäftigt, rund 100 weitere in den Wiener Töchterfirmen Jirka, Seliger und Artex Museum Services sowie in Göbels Glasmanufaktur in Passail.

Die Kombination aus feinstem Handwerk und Hightech ist für Josef Göbel der Schlüssel für die Weiterentwicklung des Betriebs und Erfolgsgarant für das Handwerk der Zukunft. Welche Herausforderungen dafür zu bewältigen sind und auf welche Märkte er künftig setzen wird, erzählte uns der ebenso eloquent wie elegant auftretende Firmenchef im großen Interview mit „SPIRIT of Styria“.

Interview

Von der Alm ins internationale Business – keine zwingende Logik. Wie hat alles begonnen?

Angefangen hat es in den 90ern, als mein Vater an der Seite österreichischer Baufirmen nach Osteuropa mitging. Wir waren immer neugierig auf neue Märkte und haben im Osten große Chancen gesehen. Die Baufirmen haben sich mit der ersten Russlandkrise Mitte der Neunziger wieder zurückgezogen, aber wir sind geblieben – was uns von Seiten der Kunden hoch anerkannt wurde. 80 Prozent unserer Kunden sind Stammkunden. Seither wickeln wir die Projekte direkt mit Partnern vor Ort ab – nicht nur in Russland, auch in der Ukraine, in Aserbaidschan oder Kasaschstan. Insgesamt sind wir in 19 verschiedenen Ländern tätig – bis auf Australien auf allen Kontinenten. Aber wir hatten nie Repräsentanzen in den Märkten, sondern steuern alles zentral von Fladnitz aus. Dadurch können wir flexibel agieren und hohe laufende Kosten vermeiden.

Ist Russland bis heute der wichtigste Markt?

Der russische Markt ist sehr volatil und wir haben immer wieder Schwankungen erlebt – aber er ist immer noch der wichtigste Auslandsmarkt. Am hartnäckigsten war die globale Finanzkrise 2010, die lang nachwirkte. Erst seit zwei, drei Jahren zieht der Markt wieder an. Um die Schwankungen auszugleichen, haben wir uns verstärkt auf den österreichischen Heimmarkt konzentriert und konnten die Rückgänge im Osten erstaunlich rasch auffangen. Wir haben heute so viele Projekte in Österreich wie noch nie. Dadurch sind wir weniger von Russland abhängig als in der Vergangenheit – gut für das Unternehmen und gut für mich bzw. meine Flug-Bilanz (lacht). Zu Spitzenzeiten waren es rund 100 Flüge im Jahr.

Die Göbel-Gruppe produziert Möbel, Fenster, Glas, Museumseinrichtungen & Co. Inwieweit widerspricht die Vielfalt dem Trend nach Spezialisierung?

Tatsächlich schwimmen wir mit unserer Ausrichtung gegen den Strom. Wir setzen auf Breite. Die gemeinsame Klammer über alle Bereiche ist „feinstes Handwerk“ – egal, ob hier bei uns in Fladnitz, bei unserer Glasmanufaktur in Passail, beim Fenster-Spezialisten Jirka oder bei Artex. Unsere Spezialisierung liegt, wenn man so will, in der Qualität. Ich muss zugeben, als ich jung war, wollte ich den Betrieb auch in Richtung Spezialisierung lenken und das Angebot verengen. Mein Vater hat mich aber vom Gegenteil überzeugt – ein großes Glück für die Entwicklung unserer Firma. Unsere Breite ist heute unser größtes USP.

Sie investieren gerade Millionen in Technologie und Digitalisierung. Wie viele handwerkliche Skills braucht es heute noch?

Das produzierende Handwerk ist heute extrem vielfältig und anspruchsvoll. Ohne automatisierte Lösungen und moderne Datenunterstützung ist eine zeitgemäße Handwerksproduktion nicht mehr denkbar. Die Basis bildet aber immer das Handwerk. In Österreich sind wir in der glücklichen Lage, über ein sehr hohes Niveau in der handwerklichen Ausbildung zu verfügen. Dafür werden wir international hoch geschätzt. Wenn Kunden Handwerk „Made in Austria“ bestellen, haben sie die Gewissheit, sich für höchstes Level entschieden zu haben. Diese Qualität sichert Österreich einen Spitzenplatz in der Champions League der handwerklichen Produktion und „Josef Göbel“ unsere hervorragende Position am Markt. 70 Prozent unserer Produktion gehen in den Export.

Wie wichtig ist die aktuelle Investition zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit?

Sie ist entscheidend, um weiterhin in Österreich produzieren zu können. Denn auch wenn wir High-Quality produzieren, müssen wir in der Lage sein, unsere Produkte kosteneffizient herzustellen und preisaffin anzubieten. Das heißt, alles was sich automatisieren lässt, wird auch automatisiert bzw. digitalisiert. Aber alle anderen Bereiche werden auch weiterhin stark handwerklich geprägt, etwa die Handwerkstatt, wo unsere Fachkräfte buchstäblich Hand anlegen und die Möbel letztlich ihren individuellen Charakter erhalten. Dafür wird es auch weiterhin Spezialisten brauchen

Geht es bei der Investition auch um die Erweiterung von Kapazitäten?

Mehr als eine Output-Steigerung steht die Sicherung und Erhöhung der Qualität im Zentrum. Unsere Produktion umfasst ein enormes Spektrum, die auch eine ausgeklügelte Produktionslogistik voraussetzt. Die neuen hoch-technisierten Anlagen brauchen ungeheuer viel Platz, daher die räumliche Ausdehnung. Waren diese einst wenige Meter lang, sind wir heute schon bei Anlagengrößen von rund 30 Meter Länge und 15 Meter Breite angekommen. Das Entscheidende dabei: Je höher die Genauigkeit der Maschinen in der Produktion, desto leichter ist es für den Facharbeiter am Ende des Prozesses, das Stück weiter zu bearbeiten. Wir machen alle Möbel „bespoke“, das heißt „wie besprochen“, also maßgeschneidert. Jede Einrichtung ist eine Einzelanfertigung. Holzwahl, Material, Farbe oder Profilierung – alles erfolgt gemäß Kundenwunsch. Diese Individualität ergibt sich in der Handwerkstatt und bei der Montage – das Handwerk entscheidet letztendlich darüber, ob ein Möbel gut oder sehr gut wird. Nur die Kombination aus Automatisierung und Handwerk erlaubt höchste Qualität zu Preisen, die auch in einem Hochlohnland wie Österreich international wettbewerbsfähig sind.

Wie sehr spüren Sie den Fachkräftemangel?

Natürlich spüren auch wir den Bedarf. Aber wir merken, dass sich junge Leute wieder mehr und mehr für handwerkliche Tätigkeiten begeistern. Handwerk erlebt ein Comeback. Wir in der Branche müssen das schaffen, was den Köchen schon vor Jahren gelungen ist – Handwerk als cooles Lifestyle-Thema zu positionieren mit hohem gesellschaftlichen Wert und guten Verdienstchancen. Auch in unserem Betrieb ist es so, dass die Führungskräfte durchwegs mit einer Lehre begonnen haben. Sie kommen alle aus dem Handwerk und haben die Aufstiegschancen genutzt. Um Lehrlinge zu bekommen, muss man als Betrieb aber auch einiges tun. Und wir investieren viel. So bieten wir den Lehrlingen Wohnungen in eigenen Mitarbeiterhäusern und günstiges Mittagessen in unserer Kantine. Immer wieder kommen auch gute Leute zu uns, die im zweiten Bildungsweg nach der Absolvierung einer Matura ihrer eigentlichen Berufung nachgehen und einen Handwerksberuf erlernen wollen.

Welche Rolle spielt der Preis bei den Kunden?

Die Kunden fokussieren heute nicht mehr allein auf den Preis wie in der Vergangenheit.

Wir stellen fest, dass sie mündiger geworden sind und sich sehr genau anschauen, welche Leistung sie für ihr Geld bekommen. Die Kunden vergleichen heute bewusster und vor allem vergleichen sie Gleiches mit Gleichem. Nicht so wie früher, wo viele bei einem Angebot nur die letzte Seite aufgeschlagen haben, um sich den Endpreis anzuschauen – und der Rest war nicht wichtig. Das ist heute anders – Gott sei Dank!

Dieses neue Qualitätsbewusstsein sieht man auch bei Immobilienprojekten im Wohnbereich immer wieder. Mit einer „Tischlerküche“ schafft man einen Mehrwert für Käufer und kann sich von der Masse der Angebote am Markt abheben. Natürlich ist es – wie erwähnt – trotz allem entscheidend, kostenbewusst zu arbeiten. Denn wir wollen nicht das schnelle Geschäft, sondern das permanente.

Sie haben vehement für die Verlegung eines Breitbandanschlusses nach Fladnitz gekämpft. Mit Erfolg?

Ja, da draußen wird gerade gegraben, die Leitung kommt. Ohne Breitbandanschluss wäre der Standort Fladnitz nicht zu halten gewesen. Mit einem Kupferkabel wie bisher ist ein Datentransfer, wie wir ihn benötigen, nicht zu bewältigen. Unsere Kunden schicken uns digitale Pläne aus der halben Welt, wir reden hier von vielen Gigabytes an Daten. Daher brauchen wir Leitungen mit einer enorm starken Leistungsfähigkeit

Manche Betriebe blicken derzeit etwas besorgt in den Konjunkturhimmel. Sehen Sie Wolken am Horizont?

2019 war für uns ein großartiges Jahr. Ich denke, für die meisten in der Branche. Wer heuer nicht zugelegt hat, der hat etwas falsch gemacht (lacht). Aber ich bin auch für 2020 zuversichtlich, wir sind derzeit voll ausgelastet und wollen auch personell weiter aufstocken.

„Tradition heißt Revolution“ lautet Ihr Leitspruch auf der Website. Sind Sie ein Revoluzzer?

(lacht) Wenn es darum geht, neue und unkoventionelle Wege zu gehen, ganz sicher. Ein wichtiger Firmengrundsatz lautet: „Wenn es einfach wär’, würde es jeder machen.“ Das heißt, egal mit welchen Ideen die Auftraggeber zu uns kommen, wir haben für die kniffligsten Aufgaben hochwertige Lösungen und versuchen stets, „outside the box“ zu denken. Das beweisen wir auch wieder mit der aktuellen Investition. Es geht darum, Mensch und Robotertechnik näher zusammenzubringen und dem „Handwerk 4.0“ den Weg zu bereiten. Damit können wir auch den Fachkräftemangel entschärfen. Diese werden künftig dort eingesetzt, wo wir sie wirklich brauchen: beim hochwertige Qualitäts-Handwerk, das Gefühl erfordert, aber nicht unbedingt beim Beschneiden der Platten. Das ist die entscheidende Frage: Wie lassen sich die beiden Welten Maschinen und Handwerk vernetzen, ohne die Individualität zu verlieren? Wenn wir diese Kombination perfektionieren, wird der Standort auch niemals in Frage stehen.

Die aktuelle Investition ist beträchtlich. Wie gehen Sie mit dem Thema Risiko um?

Natürlich überlegt man sich als Familienbetrieb, der seit 1874 besteht, jede Investition sehr gut. Umso mehr, wenn es sich um die größte Investition der Firmengeschichte handelt. Aber wir haben eine saubere Finanzierung aufgestellt mit Hilfe unserer Hausbank und vielen Förderungsmöglichkeiten. Natürlich ist immer ein Risiko dabei, aber wir glauben fest daran, dass es immer mehr Leute gibt, die Individualität in einer zunehmend uniform werdenden Welt schätzen. Daher wird der Trend nach „bespoke“, nach Eigenständigkeit, weiter zunehmen. Kunden wollen eine Wohnung, die auf sie persönlich zugeschnitten ist, und nicht von der Stange. In diesem Individualismus sehen wir eine große Zukunft. Gleichzeitig ist der Zubau auch ein großes ökologisches Invest. Auf den Dächern entstehen 800kW-Photovoltaikanlagen, damit können wir fast 50 % unseres Strombedarfs künftig selbst decken. Die gesamte Hallenbeleuchtung wird auf LED umgestellt. Schon heute läuft die Beheizung mit eigener Biomasse, die ganz Fladnitz mitversorgt. Gerade für uns als Tischler wird die Ökologie mit unserem wunderbaren natürlichen Werkstoff immer wichtiger. Ein Denken, das auch unserer Umgebung, dem Almenland, geschuldet ist.

Autor: Wolfgang Schober

Josef Göbel
„Feinstes Handwerk“ seit 1874
Hauptsitz Fladnitz an der Teichalm
Josef Göbel führt das Unternehmen in 5. Generation

Eine Glasmanufaktur in Passail und drei weitere Unternehmen mit Standort in Wien ergänzen die Göbel-Gruppe: „ARTEX Museum Services“ realisiert Museumseinrichtung- und Vitrinenbau in ganz Europa, die Tischlerei Jirka saniert seit 1922 Fenster und Türen und das Haus „Seliger bespoke furnishing“ setzt den Fokus auf Interieur, Maßmöbel und Wohnaccessoires. Alle Unternehmen befinden sich unter dem Dach der Materio Holding.

Aktuelle Projekte (Auszug)
Clubhouse des Skolkovo Golf Clubs in Moskau (von Pritzker-Preisträger Shigeru Ban entworfen), Valutenbörse in Moskau, Palais Liechtenstein und Schloss Schönbrunn in Wien, Hotels wie das Adlon in Berlin, Hotel Post am Arlberg, Hotel Sacher und Imperial in Wien, Almwellnesshotels Pierer, Museen wie das Residenzschloss Dresden, Deutsches Museum München, Weltmuseum Wien, Sakralbauten in Lissabon und Kiew.

Der Artikel erschien im November 2019 in der Spirit of Styria.