Designmonat Graz
Wie viel Toleranz braucht Design?
Der Programmfokus im Designmonat Graz 2018

Kreatives Eskalieren statt Obergrenzen für Grenzüberschreitungen: Über das Tolerieren von Abweichungen im Sinne gelungenen Designs und einer offenen Gesellschaft.

„Soll das schön sein!?“ Schönes Design. Gutes Design. Gelungenes Design. Aber was macht die Qualität von Design überhaupt aus und wer definiert die Kriterien? Subjektive Empfindungen versus objektivierbare Parameter. Ein Designobjekt kann unterschiedliche Reaktionen hervorrufen – Zustimmung oder Ablehnung, Enthusiasmus oder Empörung, Naserümpfen, Stirnrunzeln oder schulterzuckende Gleichgültigkeit. Vor allem an der Ästhetik scheiden sich häufig die Geister. Liegt die „Schönheit“ tatsächlich im Auge des Betrachters oder ihr ein System belastbarer Bewertungsmaßstäbe zugrunde?
Ist Design gelungen bzw. ein Designobjekt „schön“, wenn eine Mehrheit es so empfindet? Oder reicht vielmehr eine qualifizierte Minderheit? Und wie viel Toleranz braucht es in diesem Fall von der „Mehrheitsgesellschaft“, das anders lautende Urteil einer Minderzahl anzuerkennen? (Ohne dies als Verstiegenheit einer sich selbst genügenden Elite abzutun?)
Toleranz und Design – eine herausfordernde Beziehung. Und eine tief verstrickte Zweckgemeinschaft. Denn Toleranz meint die Duldung abweichender Ansichten oder Aktivitäten, gleichzeitig basiert gelungenes Design im Kern genau darauf: auf Abweichendem. Gutes Design steht außerhalb der Norm, bürstet gegen den Strich und muss zwangsläufig irritieren und deformieren, um Neues kreieren zu können. Toleranz ist daher der notwendige Rahmen für Design, die Biosphäre für jede Form gestalterischen Handelns. Ohne das Tolerieren schöpferischer Übertretungen ist ernstzunehmendes Design schlicht unmöglich. Jede Instanz der Intoleranz gegenüber Abweichungen entzieht Designern augenblicklich den Sauerstoff der Kreativität.

Gelungenes Design überschreitet Grenzen – häufig auch Toleranzgrenzen. Entwerfen heißt kreatives Eskalieren im Sinne des konkreten Produkt- oder Prozessdesigns, schließt aber auch einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag mit ein. Denn nur ein Abrücken von Gewohntem, ein Verrücken von Bekanntem schafft Veränderung und Weiterentwicklung – die Toleranz gegenüber Verrückern, kreativ „Verrückten“ im besten Wortsinn, ist damit notwendige Bedingung für ein Vorankommen jeder Gesellschaft.

Kreativität lässt sich weder von Sektionschefs in Ministerien verordnen noch kann sie sich geschmackspolizeilichen Kontrollen fügen, ohne zu verkümmern. Genauso wenig lassen sich Qualitätsfragen rund um Design einfach dem Markt überantworten. Der ruhige Fluss des Mainstreams unterliegt schließlich anderen Gesetzmäßigkeiten als ungezügelt eruptierende Quellen. Das Trägheitsmoment der Masse erlaubt nur bedingt kreative Sprünge, daher ist innovatives Design auch nur eingeschränkt demokratiefähig. Geschmacksurteile über Design sind kein Musterfall für die direkte Demokratie, Neues – gerade am Beginn – ist nur selten mehrheitsfähig. Mit schöpferischer Zerstörung gewinnt man kein Referendum.

Hätte Autoentwickler Carl Benz im 19. Jahrhundert die Menschen nach neuen Fortbewegungsmitteln gefragt, sie hätten nach schnelleren Pferden verlangt – nicht nach Automobilen. Wäre Chocolatier Josef Zotter vor zwanzig Jahren den Vorlieben des Massenmarkts gefolgt, würde er vermutlich noch heute Punschkrapfen backen. Und hätte Steve Jobs einst dem Mainstream vertraut, wir hätten heute wohl bessere Nokias, aber keine Smartphones. Abweichungen und Regelbrüche kommen selten aus der Mitte der Gesellschaft, sondern von Einzelnen am Rande, die sich anfangs meist nur der Akzeptanz weniger erfreuen. Je größer das Toleranzpotenzial einer Gesellschaft, desto rascher können neue Ideen in ihr wirksam werden. Je aufgeschlossener eine Gesellschaft, desto vielfältiger werden diese in Form und Funktion gebrachten Ideen das Leben der Menschen verbessern. Tolerieren und Eskalieren – alles andere als Selbstzweck, sondern ein Gleichschritt, der die Wettbewerbsfähigkeit einer Nation sichert und den wirtschaftlichen und geistigen Wohlstand einer Gesellschaft befördert. Daher, Kreative, frisch ans Werk: Provoziert, übertreibt und ufert aus! Mögen eure Grenzgänge Früchte tragen – eine Intoleranz gegen Kreativfructose wird nicht toleriert!
Wolfgang Schober